Dietmar Wischmeyer

Das Nest

Meine Name ist Dietmar Wischmeyer und dies ist das Logbuch einer Reise durch das Land der Bekloppten und Bescheuerten. Hier ist mein Bericht.

Wenn der Pubertätsabsolvent in die Jahre kommt, reflektiert er verschärft über den Gattenmord. Doch vor dem Spaß hat der Herr die Mühsal gesetzt, will heißen: da muß erst noch ne schöne Stange Ehe an die Seite gelebt werden, bevor man zum erlösenden Messer greifen darf. Wenn zwei einander versprechen, wird der Rest des Lebens auch noch abgestottert. Im Land des Negers dazumal musste der Brautzins noch entrichtet werden, bevor das Unvermeidliche dann geschah. Hierzulande darf der Doofste noch das Jawort geben, und wenn es das einzige ist, das er sprechen kann. Erstarrt sind vor allem aber die heidnischen Rituale, die dem Eheversprechen vorausgehen. Da ist zuallererst der Nestbautrieb, ausgelebt vorzugsweise in skandinavischen Möbelhäusern. Paarweise schleichen die Ehe-Anwärter durch die Gänge und grabbeln nach Björn, dem Sofakissen, und Morgenlatte, dem Kerzenständer. Denn das neue Heim will zugekuschelt sein. Besonders der Platz vor dem Fernsehgerät , dem von nun an die Abende und das Wochenende gehören, obliegt dem Kuschelwahn. Hier ein Deckchen drapiert, dort ein Wölkchen auf die Tapete getuscht, und am Videorecorder stehen ein paar Trockenblumen. Damit der ganze Tand auch garantiert zusammenkommt, liegt vor der Eheschließung eine Liste aus beim örtlichen Geschenkartikel-Dealer. Da haben die Brautleute fein säuberlich notiert, was zum Glücke ihnen noch fehlt: die legendäre Chromagan-Platte, das elektrische Tortenhebewerk, der güldene Dosierspender für den Achselhaarentferner und vielerlei Ehekrempel mehr.
So mancher Lediggebliebene fragt sich, warum bei simpler Verdoppelung der Mitglieder der Hausstand auf das Zehnfache anwachsen muß. Doch da ist die Raclette-Zange, der Tischgrill, das Fonduegeschirr, der 12er-Satz Gläser jeweils für jedes denkbare Getränk der Welt - alles nur, um andere Paare ins eigene Nest zu locken, damit für Stunden die Gewißheit der Ödnis durch albernes Geplapper und dummes Geschwätz verdeckt wird. Drum baut sich der Doppelmensch ein Nest, nicht nur um die freche Brut hochzupäppeln, nein, vor allem, um es "gemütlich" zu haben. "Gemütlichkeit" ist das visuelle Gegenstück zum Furz, ein Aggregatzustand der Wohnung, der einzig dem Zwecke dient, ein ideales Umfeld für die Verdauung zu schaffen. Wie beim Verwandten, dem Vogelnest, ist auch der Ehehorst nach dem ersten Jahr schon voller Ungeziefer. Die Milben der menschlichen Paarungsklause sind die sogenannten "Mitbringsel", die von anderen Doppelverlierern ins Nest geschleppt werden : tausend Dinge, mit denen man Bierflaschen öffen kann, Fliesen mit dem Schattenriß von Alt-Bielefeld, Erdnußpender in jeder Größe und natürlich Kaffeebecher mit Heinz und Inge drauf. Alles zusammen erhöht den Gemütlichkeitsanteil der Wohnung um ein vielfaches. Oft braucht ein Paar das ganzes Leben, um die endgültige Ausbaustufe des Nestes zu erreichen. Und wenn es vollbracht ist, wird schwuppdiwupp ins Gras gebissen, und es kommt der Sohnemann und schiebt den ganzen Mumpitz in den gelben Sack. Tot zu sein, bedarf es wenig, und den Krempel braucht man eh nich.


(abgetippt von Gerd Schlemermeyer)