Dietmar Wischmeyer

Handwerker und Lieferanten

Meine Name ist Dietmar Wischmeyer und dies ist das Logbuch einer Reise durch das Land der Bekloppten und Bescheuerten. Hier ist mein Bericht.

Die größte Lebenslüge der Deutschen ist sicherlich, daß es sich bei ihnen um ein Volk der Dichter und Denker handle. Meines Wissens gibt es keinerlei Anzeichen dafür, daß der Anteil der Bekloppten und Bescheuerten in diesem Land geringer ist als in der Mongolei oder Dänemark - eher im Gegenteil. Die zweitgrößte Lebenslüge aber ist, daß der Deutsche nur so vor Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit strotze. Wer immer noch dieser Meinung anhängt, ist noch nie in die Fänge eines deutschen Dienstleistungskraken geraten. Ob es sich um die Anlieferung eines Sofas handelt oder ein tropfender Wasserhahn der Fürsorge eines sogenannten Handwerkers harrt, stets sind die damit betrauten Untoten völlig außerstande, ihr Eintreffen auf drei bis vier Stunden genau vorherzusagen. Während seit dem Mittelalter - mit der allgemeinen Verbreitung der mechanischen Zeitmessung - der Mensch der Neuzeit daran gewöhnt ist, seinen Alltag minutengenau zu synchronisieren, um nicht ständig den Zug zu verpassen oder nachts vor die geschlossene Tür des Aldi-Marktes zu rennen, schaukelt ein Heer grinsender Blödiane mit speckigen Pritschenbullis durch die Gegend und kommt und geht, wann es ihnen paßt.
"Der Kühlschrank wird um 10 Uhr geliefert, sorgen Sie dann bitte dafür, daß jemand zu Hause ist", trällert die Frau am Telefon mit einer Kommandostimme, die keinen Widerspruch duidet. Schon schlimm genug, daß man sich für die simple Anlieferung eines Küchenmöbels einen halben Urlaubstag nehmen muß, so wird der Tag doch dadurch erst richtig schön, daß die avisierten Ladenschwengel natürlich nicht um 10, auch nicht um 12 und nicht um 3 erscheinen. Des weiteren ist die Erfindung des Fernsprechers vor ca. 80 Jahren völlig an ihnen vorbeigegangen. Es wäre ja ein leichtes, dem nutzlos wartenden Kunden, der zu Hause seine karge Freizeit verplempert, zumindest fernmündlich die Gründe seines Ausbleibens mitzuteilen. Vielleicht ist ja eine Atombombe auf den Kühlschrankladen gefallen, oder den Auslieferungsfahrer hat ein akuter Ausbruch endemischer Arschfäule dahingerafft. Wer hätte da kein Verständnis. Doch die Wahrheit ist leider viel prosaischer: Die beiden Granaten sitzen am Straßenrand in ihrem Siebeneinhalbtonnen kauen ein Fleischwurstbrötchen und lesen Fickelmagazine. Auf den Gedanken, daß andere Menschen einer geregelten Tätigkeit nachgehen oder zumindest mehr vom Leben erwarten, als der Kühlschrank-Anlieferungen zu harren, kommen sie natürlich nicht. Gegen 17 Uhr endlich treffen die beiden Spitzenkräfte am Haus des Kunden ein und schleppen einen Elektroherd mit Ceranfeld und Umluftbackofen in den fünften Stock.
Nachdem ich die beiden Sportsfreunde mit dem Herd wieder weggeschickt habe, lese ich in der Zeitung, daß die Wahrscheinlichkeit, in unseren Städten tagsüber ermordet zu werden, mittlerweile bei 120% liegt und daß in den nächsten Jahren der Anteil der Dienstleistungen in der deutschen Wirtschaft drastisch gesteigert werden soll. Schwer zu sagen, welche Meldung mich mehr erschüttert hat.


(abgetippt von Thomas Bunz)