Dietmar Wischmeyer

Das Getümel

Meine Name ist Dietmar Wischmeyer und dies ist das Logbuch einer Reise durch das Land der Bekloppten und Bescheuerten. Hier ist mein Bericht.

Am nächsten bei sich ist der Bekloppte und Bescheuerte dort, wo getümelt wird: im Brauchtum oder Volkstum. An die Fertiggarage nagelt er das turtelnde Fichtenbrett aus dem Baumarkt, um den Opel abends in einer Pseudoalmhütte zu parken, seine Jeansjacke hat Hirschhornknöpfe aus Plastik am Revers, Mamas feister Entsorgungsschacht ist in waidgrünes Trevira mit Rehkitz-Applikationen getaucht. Wie einst der Führer klebt auch der Endverbraucher gerne Decofix in Holzdekor über den nackten Beton. Plastik darf auch nicht Plastik sein, sondern wird durch Mooreichenmimikri zum respektablen altdeutschen Holzstubben mit kerniger Lebensweisheit hochgetümelt: "Futtern wie bei Muttern. Ficken wie die Ricken." Überhaupt ist in der Privathölle des Obi-Menschen nichts so, wie es scheint: Die angebliche Klinkerfassade ist eine Asbestplatte, die Pendeluhr hat ein Quarzwerk, die Eichentür ist aus Pappe, die Fenstersprossen sind Plastikknüppel in der Doppelscheibe oder Klebestreifen, und der Pudel trägt eine Perücke. Wem spielen die Hirnverbrannten eigentlich was vor? Warum kleben und tackern sie auf alle Dinge ihrer Umgebung diesen schwiemeligen großdeutschen Arierkitsch. Was ist das Bauhaus gegen den Baumarkt, diese Albert-Speer-Ausgabe für Arme. Es tümelt jedoch nicht nur der Privatbekloppte, auch die Gemeinschaft will nicht nachstehen: Bushaltestellen, die aussehen wie kleine Fachwerkkotten, frischverlegtes Betonpflaster mit vorgeriffelten Spuren alter Kutschwagen - so tümelt die Kommunalverwaltung. Warum kein Atomkraftwerk aus Fachwerk - ist doch hübsch - oder Plastikblätter an den Strommasten, ist doch netter als der doofe Wald? Oder nicht? Wär' doch gelacht, wenn man nicht auch die Wohncontainer unserer Asylantenfreunde ein wenig folkloristisch überjauchen könnte. Fachwerk ist immer hübsch, da vergeht selbst dem Neger die Zeit bis zur Abschiebung wie im Fluge. Wann wächst sie endlich raus aus dem Volk, die kissenfurzige Verklärung der Agrargesellschaft? Wohnmobilverkäufer und Versicherungsvertreter hoppeln am Abend im Trachtenverein übers Parkett der Keglerkneipe. Erntedankfest in der Spielothek. Koppelabend bei Obi. Da freut sich der Reichsnährstand. Wie angetrocknete Speisereste kleben die Überbleibsel der bäuerlichen Gesellschaft an den Fassaden der Endverbraucherwelt und bilden die muffige Gemütlichkeit des Heimatgetümels. Widerlich: das Damwildgehege neben dem Cityparkplatz, die aufgebockte Feldbahnlokomotive am Hupamarkt, die verschnörkelten Gußeisenpoller auf eingefärbtem Rustikalbeton zu Beginn der Fußgängerzone. Ich freue mich schon darauf, wenn in ein paar Jahrzehnten unsere heutige bäuerliche Gegenwart in den Sog des Getümels gerät: Güllefässer im Heimatmuseum, Elektrozangen zum Schweinekeulen über dem Kamin, Edelrestaurants in alten Hähnchenmastställen und die Trachtengruppen: proper gewandet in C&A Westbury-Klamotten. Juppheidi heida! Am Sonnabend schleicht der Doofe zu Obi-The Next Generation und kauft Betontapeten, am Sonntag trifft sich der Heimatverein und sprüht die S-Bahn-Wagen voll. Großartig!


(abgetippt von Thomas Bunz)