Dietmar Wischmeyer

Land der Gaffer

Meine Name ist Dietmar Wischmeyer und dies ist das Logbuch einer Reise durch das Land der Bekloppten und Bescheuerten. Hier ist mein Bericht.

Des Deutschen Lieblingsbeschäftigung ist zweifelsohne, den Nachbarn vor den Kadi zu schleifen, wenn er ihn bei einer winzigen Unregelmäßigkeit ertappt. Doch fast ebenso gern starrt er ihn dabei an. Ganz gleich, was man tut in dieser Republik, man kann sicher sein, kurz darauf schlappt eine Rentner-Lemure aus ihrer Behausung und glotzt ungeniert. Jede noch so winzige Abweichung von der Ödnis des Alltags wird mit Anstarren beantwortet. "Ein grauer Opel parkt schon seit 10 Sekunden vor meiner Tür", meldet das wachsame Mütterlein stante pede aufs Polizeirevier. Man mache den Test, stelle seinen PKW gegen Abend in einer Wohnstraße ab und lehne sich rauchend für ein paar Minuten an die Kühlerhaube. Zuerst schwenken die Gardinen wie ein Mann zur Seite, kurz darauf knarren die Aluzargen, und frischgebadete Frührentner wackeln unsicher Richtung Jägerzaun. Sie sind das glotzende Kanonenfutter des neugierigen Anrainers. Sollte es sich bei dem rauchenden Figuranten etwa um einen tollwütigen Tschetschenen handeln, so verbleibt lediglich der nutzlose alte Sack im Felde. Besagte Kreatur baut sich nunmehr an der rustikalen Einfriedigung auf und fängt mit Glotzen an. Keine weitere Reaktion, kein freundliches "Hallo", auch kein "Was machen Sie denn hier?", sondern einfach nur Glotzen, dummes ungeniertes Anstarren, vor hundert Jahren noch ein Anlaß, Satisfaktion zu verlangen, sprich: die Duellpistolen um Rat zu fragen. Heute glotzt jeder Bekloppte ungestraft auf alles, was er für anglotzenswert hält. Am liebsten natürlich auf die Autobahnleiche die frisch aus dem Wrack geschnitten im eigenen Blut auf dem Asphalt liegt. Dafür staut sich der Gaffer auch schon mal freiwillig, wenn er für einen Sekundenbruchteil menschliches Elend mit den Augen aufsaugen kann. Doch zumeist tut es auch das weniger Spektakuläre: junge Menschen mit grünen Haaren, alte Leute, die sich auf'n Bart legen - stets ist der erste Impuls: Stehenbleiben und in Ruhe mit Gaffen anfangen, dann kann man immer noch weitersehen. Noch gar nicht lang ist's her, da wurde noch dem Neger hinterhergeglotzt. Heute sehr beliebt als Anstarrungsfläche ist das ethnisch gemischte Pärchen: vorzugsweise die blonde Frau und der schwarze Mann, aber auch der teutonische Wampenträger und die asiatische Lolita. Der Klassiker unter den Anglotznehmern ist und bleibt aber der Behinderte. Vor gar nicht langer Zeit noch als Freakshow über die Jahrmärkte gekarrt, leben die Normabweichler ja heute mitten unter uns - dürfen aber nicht mehr ungeniert angestarrt werden, weil man das ja nicht macht. Wenn man das aber nicht mehr darf, dann sollen sie auch in ihren Heimen bleiben und nicht mit uns in Urlaub fahren oder neben uns wohnen. Basta! Dann glotzen wir doch lieber ungestraft den doofen Nachbarn an.


(abgetippt von Thomas Bunz)