Dietmar Wischmeyer

Hinaus zum 1. Mai

Meine Name ist Dietmar Wischmeyer und dies ist das Logbuch einer Reise durch das Land der Bekloppten und Bescheuerten. Hier ist mein Bericht.

Normo-Gestalten, Typus gereiftes ADAC-Mitglied, stieren gelangweilt in die Peek-und-Cloppenburg-Auslagen. Neonverpackte Gören quengeln an den Spüli-Pranken gefärbter Hausfrauen. Über die trostlose Waschbetonfläche wabert der Shatterhall eines billigen PA-Verleihers. Das aufmodulierte Nutzsignal kommt aus dem Mund eines fuchtelnden Mittfünzigers. Wir sind auf einer Maiveranstaltung der Postgewerkschaft. Willkommene Gelegenheit für den mittleren Dienst, schon am Vormittag das ein oder andere Bierchen einzupfeifen. Die stillen Stars der Arbeiterklasse, Pils- und Bratwurstbuden, bilden den authentischen Kern des betagten Zombierituals. Überall in den Fußgängerzonen versichern sich an diesem Tag die Gewerkschaften ihrer Restexistenz, fordern kleinlaut irgendwas, um das Jammertal des ausdifferenzierten Kapitalismus an den Rändern etwas aufzumotzen. Doch wer meint, mit der Phrasenkanonade des Fuchtelknaben auf dem Podium sei das Schlimmste überstanden und man könne sich nun endlich der Freiluftgastronomie widmen, sieht sich getäuscht. Es folgt der gnadenlose Angriff auf die Sinne: Gewerkschaftskultur! Wer Glück hat und in einer traditonsbewußten Arbeitergegend wohnt, muß sich nur die Knappschaftskapelle mit einem ABBA-Potpourri gefallen lassen. Schlimmer ist es dort, wo die Gewerkschaftsjugend das Sagen hat. Todsicher grölt dann der ideale Gesamtneger über den Platz, gern in der Gestalt der SalsaGruppe oder des kurdischen Trachtenvereins. Schaut her, Genossen, wollen uns diese Aufführungen sagen, der Ausländer ist gar mopsfidel und kann auch lustig mit den Armen und Beinen wackeln. Multikulti-Tralala Widdewiddewittjuchheirassa! Trotz verblichener Nelkenrevolution und ausgeleiertem Nicaraguablödsinn ist die Utopie der gewerkschaftlich orientierten Jugend die gleiche geblieben: Sinnvoll rumlungern, da wo's warm is. Die älteren Genossen sind da längst realistischer geworden. Gehärtet in den Stahlgewittern der Rezession, aufgequollen durch Lindan und Kartoffelchips, wagen sie sich bestenfalls drei Wochen aus dem Einflußbereich der bundesdeutschen Apparatemedizin davon. Ihre Utopie ist der TUI-Katalog und der Kontoauszug, und wenn beides okay ist, ist auch sonst alles okay. Hinaus zum Ersten Mai treibt sie das gute Wetter: der Sonderfahrschein der Verkehrsbetriebe und die Currywurst ist ihnen Internationalismus genug. So erscheinen auch die innenstädtischen Menschenansammlungen an diesem Tag eher wie Werbeausstellungen für schweißdurchlässige Freizeitjacken und lila Alufahrräder als wie das kämpferische Aufbäumen der Arbeiterklasse. Nun ist die Häme auch leicht vergossen über das zwanghafte Gehampel und Gepimpel der Gewerkschaften, fehlt doch das Pendant zum Tag der Arbeit, der Tag der Ausbeutung. Und ich wäre doch zu gern dabei, wenn sich der Arbeitgeberpräsident in der Fußgängerzone an seinesgleichen wendet und die neuesten Errungenschaften der Kapitalflucht referiert. Doch leider labt sich der sogenannte Leistungsträger lieber heimlich am Shrimp, statt öffentlich seine Strategien hinauszuposaunen. Immerhin werden wir dadurch von Arbeitgeberkultur verschont und müssen nicht Justus Frantz oder Friedrich Kurz in der Öffentlichkeit ertragen. Dann schon lieber Pils und Currywurst.


(abgetippt von Thomas Bunz)