Dietmar Wischmeyer

Telefon

Meine Name ist Dietmar Wischmeyer und dies ist das Logbuch einer Reise durch das Land der Bekloppten und Bescheuerten. Hier ist mein Bericht.

Den Schutz der Privatsphäre garantiert schon das Grundgesetz. In der Regel klingeln also seit 1949 keine Männer mit langen Mänteln mehr morgens um 5:45 Uhr an der Haustür.
Unverständlicherweise ist in unserem Staate das Abhören privater Telefonanschlüsse unter Strafe gestellt, das Anrufen allerdings nicht, im Gegenteil. Private Telefonnummern unterliegen sogar noch der Veröffentlichungspflicht, so daß alle Wahnsinnigen dieser Welt zu jeder Tages- oder Nachtzeit in meiner Wohnung rumquasseln können. Die morgendliche Stuhlformung, genau wie der abendliche Gattenritt gelten in unserer Gesellschaft der totalen Rufbereitschaft als fernmündlich unterbrechbar. Und wehe dem, der sein Fernssprechendgerät aus der Buchse zieht, um wenigstens ein paar Stunden des Tages die Geschwätzigkeit der Welt von sich fernzuhalten. Er ist ein Querulant, ein Verdächtiger, entzieht er sich doch der allgegenwärtigen Sozialkontrolle durch den quasselnden Mitmenschen.
Immer erreichbar sein, eine Horrorvorstellung George Orwells, ist zu etwas erstrebenswertem geworden, für das auch noch viel Geld gezahlt wird. Die Trendsetter, was man getrost mit unreflektierter Vollidiot übersetzen kann, schleppen schon seit Jahren ihre Handies mit zum Kacken. Doch nicht, um angerufen zu werden, denn so viel haben sie immerhin schon gemerkt, es kackt sich schlechter, wenn die Gattin an der Funke nervt, nein diese Burschen wollen selber anrufen, andere Menschen mit ihrem Wortmüll zuschütten, ihre Macht dadurch zeigen, daß sie jeden aus seiner Arbeit reißen können, um ihn vor dem Telefon strammstehen zu lassen.
Je mehr telefoniert wird, desto weniger wird gesagt. Schon heute sind 95% aller Gespräche komplett unwichtig. Längst hat sich die Kommunikation von den Inhalten emanzipiert. Es wird gequasselt und gesabbelt rund um die Uhr, die Arbeit bleibt liegen und man erfährt nichts. Wer immer noch glaubt, es gäbe so etwas wie wichtige Telefongespräche, dem seinen die Abschriften der fernmündlichen Unterredung zwischen Helmut Kohl und Erich Honecker zur Lektüre anempfohlen. Auch höherer Ebene ist selten weniger gesagt worden.
Und warum melden so wenige Leute ihren Anschluß ab?
Warum ziehen so wenige ihren Stecker raus?
Es muß die Angst sein, es könnte mal eine Anwesenheitskontrolle auf diesem Planeten via Telefon stattfinden und wer nicht abnimmt, wird ausgelöscht. Diese Angst läßt stillende Mütter den Säugling von Busen reißen und zum Hörer grabschen, duschende Männer tropfnaß über die Auslegeware hasten und womöglich längst Aufgegebene aus dem Koma hochschrecken, würde man ein Telefon neben das Krankenbett stellen.
Immer mehr definiert sich jedoch in unserer Gesellschaft wirklicher Luxus in der Abwesenheit der Dinge. Was ist der Luxus, ein Handy zu besitzen, gegen den, es nicht besitzen zu müssen? Schon die Götter definierten sich einst dadurch, für den Menschen unerreichbar zu sein, hatten sie die Schreckensherrschaft des Telefons schon vorhergesehen?


(abgetippt von Thomas Bunz)